Erfahrungen aus der langjährigen Tätigkeit von der Autorin Marie Deutscher als Puppenspielerin in Beschäftigung und Betreuung demenzkranker Senior*innen sind eingeflossen in das Arbeitsbuch „Plädoyer für Willi“. Das Buch soll Puppenspieler*innen in diesem Tätigkeitsbereich bestärken sowie Pflegenden und Betreuenden die Anwendung einer Handpuppe nahe legen, ganz gleich, ob im beruflichen oder privaten Rahmen.
Auszug aus dem Buch "Pläydoyer für Willi" von Marie Deutscher:
Einsatz von Klappmaulpuppen in Pflege und Betreuung Demenzkranker
Prolog - Ein fiktives Interview
Frage: Frau Deutscher, Sie sind Puppenspielerin. Nicht in einem Theater,
nein, Sie setzen Puppen bei der Betreuung demenzkranker Seniorinnen und
Senioren ein. Wie würden Sie diese Arbeit in drei Sätzen beschreiben?
M.D.: Geht das überhaupt? Moment, ich versuch´s mal: Miteinander
reden unter erschwerten Bedingungen mit Hilfe von Humor.
Das ist wirklich kurz, lässt aber auch viele Fragen offen. …
M.D.: Fragen Sie.
Was sind die erschwerten Bedingungen?
M.D.: Demenzkranke haben durch ihre Krankheit eine andere
Realität als die Menschen in ihrer Umgebung: zeitlich nahe
Erlebnisse, Handlungen, Fertigkeiten verschwinden aus ihrem
Gedächtnis – kurzzeitig oder dauerhaft. Sehr lang zurückliegende
Ereignisse, sogar Gefühle, sind eher präsent. Aus diesem längst
vergangenen und zudem oft vom eigenen Gedächtnis verfremdeten
Umfeld heraus handeln und äußern sich die alten Leute. Oder es sind Ängste da, die
sie einerseits deshalb spüren, weil das eigene Vergessen bemerkt wird. Andererseits
können die Ängste unter Umständen auch aus den alten Zeiten stammen. Und nicht
zuletzt macht die Orientierungslosigkeit in einem vom Vergessen geprägten Alltag
einfach sehr viel Angst. Das Nicht-Wiedererkennen naher Menschen kommt häufig
noch hinzu.
Und welche Rolle spielt die Puppe?
M.D.: Sie nimmt tatsächlich oft eine Rolle ein, eine positive in der Regel. Eine Rolle aus
dem vergangenen Leben. Sie ist Kind, Freundin, ein Tier sogar, oder bezaubert einfach
durch ihr Aussehen, die Bewegungen, die Stimme.
Ihre Puppe hat eine eigene Stimme?
M.D.: Ja, das hat Vorteile, sofern sie nicht „nervt“, was auch vorkommt.
Was mögen Sie am meisten an dieser Arbeit?
M.D.: Dass, wenn erst einmal ein Gespräch mit dem alten Menschen begonnen hat, so
viel Seltenes, Ungewöhnliches, Bewegendes passiert.
Zum Beispiel?
M.D.: Die Menschen lassen sich ein auf ein Spiel, sind völlig abgelenkt von ihrem
Alltag, etwas strahlt aus ihnen heraus. Manchmal sieht man das, wenn man in die
Gesichter schaut. Ich weiß gar nicht, was das ist. Eine Art Vertrauen vielleicht.
Und ich bin plötzlich, in der Rolle der Puppe, schlagfertig, frech, direkt – all das, was
ich „als Mensch“ eher nicht bin.Und das kommt meist sehr gut an.
Die Puppe als Ihr Alter Ego also?
M.D.: Kann man so sagen.
Was fällt Ihnen schwer in dieser Arbeit?
M.D.: Es braucht auch immer wieder Mut, in diese Rolle zu schlüpfen. Manchmal bin
ich ganz schön aufgeregt und muss mir regelrecht Mut zusprechen. Darüber hinaus
sind Konzentration und sehr viel Geduld nötig. All das aufzubringen kostet Kraft.
Ebenso das Wahrnehmen eines Gesundheitszustandes, den man sich selbst natürlich
nicht wünscht … da kommen auch eigene Ängste hoch. Das Schwierigste aber ist, dass
es immer mehr Pflegepersonal gibt - so kommt es mir jedenfalls im Laufe der Jahre vor -
das gar nicht versteht oder verstehen will, was ich da tue.
Deshalb sind Sie jetzt auch Lehrkraft in einer Altenpflegeschule geworden.
M.D.: Sagen wir, ich habe es ausprobiert. Denn auch das ist ein zweischneidiges
Schwert. Eigentlich möchte ich mein Wissen, meine Fertigkeiten, meine Spielfreude
weitergeben an Leute, die genau das erlernen wollen. Also: Kleine Gruppen und viel
Enthusiasmus. An einer Altenpflegeschule gibt es Klassen von ca. 20 Lernenden. Zwei
Drittel etwa nehmen das mal so mit als Lehrstoff, aber nicht sonderlich ernst. So muss
ich unter schwierigen Bedingungen von meiner Daseinsberechtigung überzeugen. Die
Fortsetzung der Schwierigkeiten im Job in anderem Umfeld, könnte man sagen. Mal
abgesehen davon, dass ich nicht gern vor größeren Gruppen spreche.
Ist es denn nicht auch reizvoll, direkt an der Basis um Akzeptanz zu werben?
M.D.: Ja, ist es durchaus. Erst recht, seit die Frage aufkam: Ist das, was ich tue, eine
Methode?Gibt es ein methodisches Vorgehen in meiner Arbeit?
Also: folgt Ihre Arbeit einer Methode?
M.D.: Jedenfalls keiner offiziellen, in einem Lehrbuch o.ä. schriftlich fixierten. Ich habe
von einer anderen Puppenspielerin gelernt*. Deren Grundsätze habe ich um meine
Erfahrungen erweitert, quasi meine „Methode“ daraus gemacht. Dennoch fällt es mir
schwer, das so zu sagen. Ich finde, methodisches Arbeiten hängt gerade im Umgang
mit Demenzkranken von den speziellen Rahmenbedingungen ab. Um die muss man
sich kümmern, will man eine Methode entwickeln bzw. seine Arbeit methodisch
angehen. Ich denke, es gibt ein paar Grundprinzipien, die, verbunden mit Kenntnissen
zur Demenz, zu Validation, Altenpflege allgemein bis hin zur Gruppendynamik etc.
einen gewissen methodischen Grundstock bilden. Doch in die Arbeit bringt man auch
seine Persönlichkeit ein, seine Einstellung zu alten Menschen und eine große Portion
Spielfreude und Humor. Ohne all das geht gar nichts, Methode hin oder her.
Sie wollen sich an dieser Diskussion also eher nicht beteiligen? Höre ich das richtig heraus?
M.D.: Ich will nichts Akademisches daraus machen, soviel steht fest. Weil damit
womöglich die Leichtigkeit verloren geht und vielleicht sogar die Wichtigkeit der
Puppenspieler-Persönlichkeit, sagen wir, aus dem Blickfeld rückt.
Akademisch im Sinne von trocken, theoretisch, nehme ich an. Ungewöhnliche Sichtweise.
M.D.: Ich habe in den letzten Jahren eine Menge Kraft in diese Arbeit gesteckt und
würde den Staffelstab jetzt gern weitergeben. Am liebsten an Menschen, die in
der Betreuung alter, demenzkranker Menschen aufgehen. Die darauf brennen, das
Puppenspiel in diese Arbeit zu integrieren. Interessierte, aufgeschlossene Menschen,
in denen etwas von einem Puppenspieler, einer Puppenspielerin steckt. Ich denke, hier
kann ich inspirieren und überzeugen und …
Und?
M.D.: Fragen Sie mich was Leichteres. Die Diskussion um eine gute, würdige und
auch professionelle Art des Umgangs mit demenzkranken Menschen ein Stück weit
begleiten. Das wäre schon was.
*Katja Krebs siehe www.kumquats.de
Das Arbeitsbuch ist hier erhältlich: Zum Kumquats-Shop
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